Schlechtes Gewissen in deprimierten Lebenslagen
Selbstvorwürfe und Selbstverurteilungen zählen zu den permanenten Denkmustern und inneren Dialogen von Depressiven. Die Frage stellt sich hier – wie bei allen Wechselwirkungen: Was war zuerst da – und was stabilisiert jeweils welchen Faktor im System der Selbstabwertung? Gehen wir der Frage auf den Grund. Warum entwickeln viele ein negatives Selbstbild mit düsteren Zukunftsideen?
Wolken roter Himmel
Warum haben viele deprimierte Menschen ein schlechtes Gewissen?
Das schlechte Gewissen von Menschen in Phasen der Mutlosigkeit und Verzweiflung hat mit äußeren und inneren Dialogen zu tun.
Einerseits gibt es oft ein Umfeld, das die betroffene Person mobilisieren und motivieren will. Naturgemäß funktioniert das aber nicht, denn alle wahre Motivation ist intrinsisch, also von innen kommend. Der Mensch braucht Motive … ja, wirklich Bilder … um sich etwas unter einem gelingenden Tag vorstellen zu können.
So ergeben sich regelrechte Selbstvorwurfsketten:
Meine Angehörigen wollen, dass ich mehr mache – Ich kann momentan beim besten Willen nicht – Damit mache ich mich schuldig – Ich würde ihnen wenigstens eine Freude machen und mit ihnen sprechen – Wie undankbar ich wirken muss! – Früher ging es doch auch – Was die wohl alle von mir denken …
Was entsteht durch das schlechte Gewissen?
Das schlechte Gewissen und die Selbstvorwürfe entwickeln ständig neue Auswüchse. Irgendwann überwiegen die negative Muster im Denken und Fühlen. Es fühlt sich so an, als würde der Mensch dominiert von seinen Gefühlen.
Schlechtes Gewissen macht schlechtes Gewissen. Die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol führt zu weiterer Cortisolausschüttung. Wo Stress ist, entsteht neuer Stress.
Was kann ich mein schlechtes Gewissen loswerden?
Um es gleich vorwegzunehmen: sicher nicht, indem ich dagegen ankämpfe oder versuche, es zu unterdrücken. Das ist der falsche Weg.
Ein negatives Selbstkonzept besteht aus vielen Faktoren. Das schlechte Gewissen ist nur ein Teil davon.
Ein guter Weg ist es, sich die Zusammenhänge zu erklären.
Die Frage sollte lauten: Wie kann ich mein gutes Gewissen wiederfinden?
In jedem Leben – auch im traurigsten Leben der Welt – gab und gibt es Momente, in denen „es nicht so schlimm“ ist. Also besser.
Sie können sich sehr einfach selbst beweisen, dass in Ihnen Seiten und Anteile sind, die durchaus einiges an Gutem über Sie zu berichten wüssten: würde man sie interviewen.
Der Beweis dafür, dass Sie auch anders mit sich umgehen können:
Kein Mensch könnte wissen, dass er ein schlechtes Gewissen hat – würde er nicht auch ein gutes Gewissen, also eine gute Meinung von sich haben.
Deshalb ist es – so mühsam und bisweilen aussichtslos es auch am Anfang wirken mag – unverzichtbar, sich mit dem Aspekt der Selbstliebe zu befassen. Lesen Sie hier den Beitrag über die Selbstliebe. Bitte. Sich selbst zuliebe.
Entscheidend sind im Zusammenhang mit negativen Selbstbeschreibungen (wie kommt es, dass sich Menschen heruntermachen?) zwei zentrale Gedanken:
- Alles, was gesagt wird, wird von einem Beobachter gesagt.
- Information ist Unterschiedsbildung
Johannes Faupel
Autor: Johannes Faupel
Position: Partner im Zentrum für systemische Supervision Frankfurt
- Fachrichtung: Systemischer Therapeut und Berater SG, IGST, Fachbuchautor Springer Gabler
- Zertifizierung: Systemische Gesellschaft (SG) und Internationale Gesellschaft für Systemische Therapie (IGST), Fachbuchautor Springer
- Akkreditierung als Fachjournalist DFJV für die Fachbereiche Medizin, Gesundheit, Technik, Wissenschaft und Bildung beim Informationsdienst Wissenschaft IDW
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- Publikationen: Burnout-Prävention und -Intervention, Springer, 2020, Gedankenwohnung und Gedankentaxi, Exponere-Verlag
- Veröffentlichungsdatum: Februar 2021